Buchtipp
Vaterkind und Mutterkind: Über die ungleiche Liebe der Eltern
Roman. Die Tochter zieht mit dem Pinsel einen roten Strich durch die Wohnung, um die Grenze zu markieren: Hier der Bereich von Mutter und Bruder; dort der Bereich von ihr und dem Vater. Die Eltern, Charlotte und Simon, trennen sich, wollen aber im Elternhaus von Charlotte gemeinsam wohnen bleiben. Was wie eine originelle Versuchsanordnung für eine Scheidungsgeschichte klingt, ist weit mehr als das. Absurd ist angesichts teurer Mieten und prekärer Einkommen ja nicht das Aufteilen der Wohnung, sondern die Aufteilung der Kinder: Jeder Elternteil bekommt ein Kind. Und so ist das Buch eine kluge und herausfordernde Meditation über die Liebe der Eltern zu ihren Kindern, die – was kaum jemand zugibt – eben doch oft ungleich verteilt ist: Es gibt Vaterkinder und Mutterkinder. Das Phänomen wird nicht etwa als Geschwisterrivalität entfaltet, sondern der Konflikt wird dort platziert, wo er entsteht: in der Beziehung der Eltern zueinander und zu den Kindern. Die Geschichte dieser Kleinfamilie spannt sich über 20 Jahre. Bezüge zur deutschen Zeitgeschichte verhindern, dass der Roman ins Metaphorisch-Zeitlose abgleitet. Franziska Gerstenberg nutzt für je einen Zeitabschnitt die Perspektive einer der vier Beteiligten. So ermöglicht sie den Lesern einen kathartischen Prozess: Man versteht Charlotte und Simon und sieht trotzdem, dass sie ihren Kindern nicht gerecht werden. Eine Romantherapie für Eltern, auch wenn sie sich nicht scheiden lassen.Christoph Fleischmann
alles vorbei ist. Schöffling & Co. 296 Seiten. 24 €