Meine Religion – dein Bayern

»In allen bayerischen Landesbehörden werden künftig Kreuze im Eingangsbereich hängen« hieß es in der Nachricht unter dem Bild. Doch diese sollten kein religiöses Symbol des Christentums sein, sondern laut Ministerpräsident Markus Söder (CSU) »ein Bekenntnis zur Identität und zur kulturellen Prägung Bayerns«. Der Ministerpräsident habe in der letzten Kabinettssitzung ein entsprechendes Dekret erlassen. »Das Kreuz ist nicht Zeichen einer Religion«, soll Söder da gesagt haben, »sondern ein grundlegendes Symbol der kulturellen Identität christlich-abendländischer Prägung«.
Ich las die Nachricht dreimal, hielt sie immer noch für Fake-News, schrieb an meine Freundin: »Woher hast Du das?« Erst, als sie mir eine Nachrichtenagentur als sichere Quelle und noch ein paar weitere Veröffentlichungen zum Thema schickte, fing ich an zu begreifen, was da eben passiert war: Der bayerische Ministerpräsident hat das wichtigste Symbol der Christenheit enteignet. Es ist nun nicht mehr das Bild der Hoffnung von Milliarden Gläubigen auf der ganzen Welt, sondern ein Wahlkampfhelfer der CSU. Seit gestern erinnert das Kreuz nicht mehr an den qualvollen Tod des jüdischen Rabbi, der das Reich Gottes und die frohe Botschaft für alle Völker verkündete – sondern an Markus Söder, seinen kleinen Freistaat am Fuße der Alpen und das »Mia san Mia« seiner Bewohner.
»Ich will aber nicht in die Kirche gehen und das Symbol der bayerischen Identität anbeten«, schrieb mir meine Freundin dann noch und schickte ein weinendes Emoji hinterher.
Ich weine nicht. Ich bin wütend. Keine der umstrittenen Karikaturen und Kabarettisten hat meine religiösen Gefühle je so verletzt wie dieser politische Missbrauch.

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Dies wäre ein schönes Bekenntnis zu einer Gesellschaft, die Diversität aushalten will.
Kerstin Karkowski