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»Märchen-Fee aus seiner Kindheit?«

vom 08.04.2020
von Waltraud Koneczny

In unserem liebenswerten, lebendigen Städtchen besuche ich allabendlich mit meinem Liegedreirad unsere Straßenmusiker. Wir kennen einander gut. Nun sind – wie überall – die Straßen leergefegt. Die Straßenmusiker haben sich verkrochen – es gibt ja keine Passanten und damit keine Cents oder Euros im Kasten. Am schlimmsten ist die Stille in der Stadt, die fast Totenstille.

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Und da höre ich bei meiner »Trotzdem-Rundtour« mir unbekannte neue Töne, sichere, schöne Gitarrentöne und eine wundervolle kräftige Folk-Rock-Pop-Stimme. Ich treffe – auf drei Meter Abstand – auf diesen mir völlig neuen Typen. Wir kommen ins Gespräch – quer über die autofreie Straße. Er erzählt mir in unsicherem Deutsch von seiner vielwurzeligen Herkunft. Ein liebenswerter Kerl. In den Spielpausen werden unsere Gespräche privater. – Nun muss ich weiter. In meinem Geldbeutel – oh Schreck – finden sich noch 10 Cent und ein 20-Euro-Schein. Was tun? … In die Apotheke zum Wechseln? An den Geldautomaten? Ich gehöre mit meinen 84 Jahren zur Hochrisikogruppe. Aber: Einfach wegfahren geht nicht. 10 Cent gehen nicht. – Da steigt vorsichtig der Gedanke in mir hoch: »Gib ihm die 20 Euro.« Nein, das geht nicht. Das tut man nicht. Seinetwegen nicht. Meinetwegen nicht. – Er spielt inzwischen seine Lieder … (20 Euro – wenn ich meinen vier Enkeln einen Döner spendieren würde und eine halbe Cola dazu … wären sie auch weg). – Endlos dauert das … Der 20-Euro-Schein wird langsam warm vom Festhalten in meiner Hand. Lange schon. Nein, man tut so etwas nicht. Wieso eigentlich?

Einmal rechts geschaut, einmal links, keine Passanten, schnell hinüber: Den Schein in seine gerade pausierenden Gitarrenfinger gestopft. Er glaubt es nicht. Da bin ich schon weg. Noch eine Kusshand hinterher.

Große Freude in mir. In ihm? Vielleicht war es die »Märchen-Fee aus seiner Kindheit?«

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