Mode & Moral
»Kritik ist eine Stärke von Mode«

Publik-Forum: Als Coco Chanel vor fünfzig Jahren starb, war sie der Inbegriff einer Mode-Ikone. Was hätte der Modewelt gefehlt, wenn es sie nicht gegeben hätte?
Barbara Vinken: Coco Chanel war ihrer Zeit weit voraus. Kühn zog sie sich an wie ein Mann, kühn ging sie unbehütet, mit offenen kurzen Haaren in Hosen, dazu mit leicht gebräunter Haut, in die Welt. Nichts hielt sie an dem für sie vorgesehenen Platz. Und so war sie es, eine freie Frau, die die Frauen ihrer Zeit vom Stigma der Weiblichkeit befreite, die ihnen das 19. Jahrhundert auf den Leib geschrieben hatte. Sie war ein Skandalon, eine Cocotte, die vielleicht zur größten Modedesignerin aller Zeiten wurde.
Gleichberechtigung, Nachhaltigkeit, Feminismus oder Gender – viele große Themen werden heute in der Mode verhandelt, oder?
Vinken: Das stimmt. Sowohl der Dialog als auch der Konflikt sind in unser Modesystem tief eingeschrieben. Etwa der Konflikt der Klassen, der Machtansprüche und der Geschlechter. Männlich und weiblich ist die zentrale Opposition unserer heutigen Modeordnung. Sie ist extrem gegendert und gibt vor, dass Männer Schmuck und alles Schmückende um den Preis der Macht ablegen müssen, während Frauen die Bürde oder das Privileg haben, modisch zu sein.
Wo fängt Mode an?
Vinken: Friedrich Nietzsche hat den Anfang der Mode durch das Ende der Tracht beschrieben. Der Anfang der Mode ist der globale Siegeszug des männlichen Anzugs. Das hat auch eine stark imperiale Seite: Kemal Atatürk etwa oder Reza Pahlewi, der ehemalige Schah von Persien, haben ihren Bürgern das Tragen von Anzügen

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