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Wer die Musik liebt ...

vom 21.04.2020
von Monika Kohlbacher, Wien

»Für mich existiert Kunst, insbesondere Musik, um uns so weit wie möglich über das tägliche Leben zu erheben«, lässt uns Gabriel Fauré wissen. Damit ist er nicht allein. In diesen außergewöhnlichen Tagen wird auch mir aufs Neue klar, was mich wirklich stärkt und immer wieder belebt.

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Als mir meine Vorgesetzte die erste, zur mehrfachen Verwendung gedachte Schutzmaske überreicht, merkt sie an, dass diese aktuell Millionen wert sei. Ich versichere ihr, sie nach Gebrauch auf jeden Fall zum Andenken künstlerisch zu verarbeiten, um den Wert noch zu steigern.

Von Kopf bis Fuß in Plastik eingepackt, läute ich also an den Wohnungstüren unserer Bewohner*innen, um ihnen Mahlzeiten und Medikamente ins Zimmer zu bringen. Das gesamte Stockwerk ist isoliert. Jedes Mal ein leicht erschrockener Gesichtsausdruck der teils hochbetagten Senioren wegen unserer derzeit notwendigen Verkleidung. Obwohl mehrfach erklärt, können sie es sich eben nicht merken, warum wir so auftreten und warum sie plötzlich den Tag ganz alleine in ihren Zimmern verbringen müssen. Sie vermissen die Gemeinschaft im Tagraum, sie vermissen ihre Angehörigen, aber sie vermissen vor allem eines: den Humor von uns Sozialbetreuerinnen! Unsere Aufgabe ist es unter anderem, ihnen den oft mühsamen Alltag zu erleichtern, sie von trüben Gedankengängen zurückzuholen und sie aufzuheitern. Genau das gelingt oftmals am besten mit Musik. Ob es nun ein junger Student ist, der uns in seinem Zivildienst an seinen Fortschritten im Geigenspiel teilhaben lässt, oder ob wir in alten Wienerliedern schwelgen – Musik zieht uns alle wieder hoch!

Wieder ist ein 10-Stunden-Arbeitstag nach Ablegen der sogenannten Schutzausrüstung vorbei. Schutzhaube, Schutzbrille, Mund-Nasen-Schutzmaske, Schutzmantel, Schutzhandschuhe, Schutzfüßlinge, Schutz … – ein Schutz, den man sich nach spätestens drei Stunden vom Leib reißen möchte, weil man darunter innerhalb kürzester Zeit mehr zusammengeschwitzt hat als an einem Hochsommertag. Nach etwa sechs Stunden gesellen sich Übelkeit und Kopfschmerzen dazu. Ob es eine Mittagspause geben wird, ist nicht so sicher – viel zu wenig Personal. Zum Weinen? Vielleicht.

Zum Weinen schön fand ich die Ankündigung von Igor Levit in einem seiner Home-Konzertabende, für all jene zu spielen, die sich Tag und Nacht um Corona-Patienten kümmern. Klaviermusik vom Feinsten als Belohnung für einen kräfteraubenden Arbeitstag. Seelennahrung!

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Franz Schubert sagte: »Wer die Musik liebt, kann nie ganz unglücklich werden.« Ich möchte ergänzen: Wer Igor Levit spielen hört, kann nur glücklich sein. Seine Interpretationen sind es, die in meinem Gedächtnis bleiben und mich durch diese Tage tragen.

Danke, Igor!

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Alle Beiträge des Erzählprojektes »Die Liebe in Zeiten von Corona«

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