Zur mobilen Webseite zurückkehren
Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 20/2021
Der Inhalt:
Religion & Kirchen

Kinotipp
Holocaust als Computerspiel

Mit schockierender Unbefangenheit plant Gamedesignstudent Yaar ein Videospiel, inspiriert vom Schicksal seiner Großmutter Rina im Krakauer Ghetto. Doch bald holt ihn die Vergangenheit ein. Ein provozierender Film.
von Birgit Roschy vom 30.10.2021
Artikel vorlesen lassen
Allmähliches Begreifen: Yaar am Grab von Roman, dem kleinen Bruder seiner Großmutter (Foto: schramm-matthes-film.de)
Allmähliches Begreifen: Yaar am Grab von Roman, dem kleinen Bruder seiner Großmutter (Foto: schramm-matthes-film.de)

Doku. Bis ins vierte Glied, heißt es im »Alten Testament«, dem Tanach, werden nachfolgende Generationen von den Erlebnissen, Taten und Traumata ihrer Vorfahren heimgesucht. Doch der 21-jährige Yaar und sein Freund Marcel wollen das Joch der Vergangenheit nicht akzeptieren. Yaar, ein Berliner mit polnisch-jüdischen Wurzeln, dessen Familie zu großen Teilen im Holocaust ermordet wurde, will sich nicht als das ewige Opfer fühlen. Marcel, dessen Urahn ein SS-Täter in Polen war, will sich nicht für dessen Verbrechen rechtfertigen müssen. Um Distanz zu seinen familiären Bedrückungen zu schaffen, plant der Gamedesignstudent Yaar mit Marcel und Freundin Sarah ein Videospiel, inspiriert vom Schicksal seiner Großmutter Rina im Krakauer Ghetto. Darin wollen sie mit Klischees und Rollenzuweisungen brechen: Juden sollen sich wehren, Nazis menschlicher werden. Der Dokumentarfilm, in dem Yaar bei der Entwicklung des Projekts begleitet wird, schockiert anfangs durch die Unbefangenheit, mit der dieser quirlige Hipster »Was-wäre-wenn«-Szenarien entwirft. Könnte die virtuelle Rina nicht ihren kleinen Bruder Roman retten und der SS-Mann, dessen Avatar nach dem Vorbild von Marcels Urgroßvater designt ist, nicht ein »guter Nazi« sein? Und warum macht das Hackenknallen mit den schwarzen SS-Stiefeln, die das Team für das Videospiel besorgt hat, so teuflisch Spaß? Doch Yaars Spurensuche in Krakau und in Israel bei seiner in schweigender Qual erstarrten Großmutter lassen ihn begreifen, wie deren Schuldgefühle mit den Depressionen seines Vaters zusammenhängen. Hautnah und ohne Scheu vor ungefilterten Emotionen wird in diesem provozierenden Film, im Grunde eine Selfmade-Psychoanalyse, deutlich, wie wichtig es ist, sich schrecklichen Erinnerungen zu stellen.

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 20/2021 vom 22.10.2021, Seite 55
Vergeben und vergessen
Vergeben und vergessen
Was billige Gnade von echtem Verzeihen unterscheidet
4 Wochen freier Zugang zu allen PF+ Artikeln inklusive E-Paper
Kommentare und Leserbriefe
Ihr Kommentar
Noch 1000 Zeichen
Wenn Sie auf "Absenden" klicken, wird Ihr Kommentar ohne weitere Bestätigung an Publik-Forum.de verschickt. Sie erhalten per E-Mail nochmals eine Bestätigung. Der Kommentar wird veröffentlicht, sobald die Redaktion ihn freigeschaltet hat. Auch hierzu erhalten Sie ein E-Mail. Siehe dazu auch Datenschutzerklärung.

Mit Absenden des Kommentars stimmen Sie der Verarbeitung Ihrer Daten zur Bearbeitung des Kommentars zu. Zum Text Ihres Kommentars wird auch Ihr Name gespeichert und veröffentlicht. Die E-Mail-Adresse wird für die Bestätigung der Bearbeitung genutzt. Dieser Einwilligung können Sie jederzeit widersprechen. Senden Sie dazu eine E-Mail an [email protected].

Jeder Artikel kann vom Tag seiner Veröffentlichung an zwei Wochen lang kommentiert werden. Publik-Forum.de behält sich vor, beleidigende, rassistische oder aus anderen Gründen inakzeptabele Beiträge nicht zu publizieren. Siehe dazu auch Netiquette.
Publik-Forum
Publik-Forum
Einen Moment bitte...
0:000:00
1.0