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Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 17/2022
Der Inhalt:

Film-Tipp
Heldin auf Zehenspitzen

Der Film »Hive« ist die Charakterstudie einer willensstarken Frau und zugleich das Porträt einer traumatisierten Dorfgemeinschaft, angesiedelt im Kosovo nach dem Krieg
von Birgit Roschy vom 09.09.2022
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Solidarität: Fahriye Hoti (zweite von links) verbündet sich im Film Hive mit anderen Frauen (Foto: jip-film.de/hive)
Solidarität: Fahriye Hoti (zweite von links) verbündet sich im Film Hive mit anderen Frauen (Foto: jip-film.de/hive)

Kino. Fahriye lässt sich von Absperrungen nicht aufhalten. Schnurstracks geht sie hin zu den weißen Plastiksäcken mit den Überresten gefundener Leichen. Sie sucht ihren Mann, der vor sieben Jahren verschleppt wurde. Und Fahriye überwindet auch die roten Linien einer patriarchalischen Gesellschaft, die Witwen wie sie lebendig begraben möchte. Dieses sozialrealistische Drama, angesiedelt im Jahr 2006, ruft einerseits die Gräuel ins Gedächtnis, die im Jugoslawienkrieg geschahen. 1999 überfielen serbische Truppen das kosovo-albanische Dorf Krushe e Madhe, brannten drei Viertel der Häuser nieder und töteten 241 Menschen. Von 63 Personen fehlt bis heute jede Spur. Inspiriert ist der preisgekrönte Film aber von der Geschichte der Witwe und Mutter Fahriye Hoti, die ihr Schicksal in die eigenen Hände nahm.

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 17/2022 vom 09.09.2022, Seite 54
Die überforderte Gesellschaft
Die überforderte Gesellschaft
Corona, Klima, Krieg – vom Leben in der Dauerkrise

Den Honig aus den Bienenstöcken ihres Mannes zu verkaufen reicht nicht aus zum Überleben. So gründet sie mit anderen Frauen eine landwirtschaftliche Kooperative und verkauft erfolgreich hausgemachte Lebensmittel, besonders Ajvar, einen würzigen Aufstrich aus Paprikafrüchten. Die Regisseurin, selbst einst mit 16 Jahren aus dem Kosovo geflohen, schildert Fahriyes Weg in die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit als sehr stille Emanzipation, mit einer wortkargen Heldin, die wie auf Zehenspitzen gegen ungeschriebene Gesetze angeht. Es ziemt sich nicht für eine Frau, den Führerschein zu machen und außer Haus zu arbeiten; ihr Mann würde sich für sie schämen, meint der kranke Schwiegervater, bei dem sie lebt. Neben schiefen Blicken und Beschimpfungen erntet Fahriye noch üblere Attacken – bleibt jedoch, unterstützt von der wachsenden Solidarität anderer Frauen, standhaft. Und während sich, ein Glas nach dem anderen, ihre Regale mit Ajvar füllen, nähert sie sich der Akzeptanz des Verlustes.

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Mit feinen Pinselstrichen weitet sich die Charakterstudie einer willensstarken Frau zum Porträt einer traumatisierten Dorfgemeinschaft. Nicht nur die Männer klammern sich an die alte Ordnung. Die Hoffnung auf eine Rückkehr der Verschwundenen will nicht sterben und die quälende Ungewissheit liegt wie ein Fluch über der äußerlich so idyllischen Gemeinde. Jenseits billiger Feelgood-Stimmung erzählt der Film von dem, was Worte nicht ausdrücken können: von dem Schmerz, der Trauer, der hilflosen Wut der Hinterbliebenen, der Anstrengung, weiterzuleben mit Wunden, die vielleicht niemals heilen.

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