Leserbrief
Wessen Kriegslogik?
Zu: »Der Schock – Putins Krieg«, »Die Verrückung« (5/22, Seite 12-27)
»Putin zwingt der Welt seine Kriegslogik auf« – absoluter Unsinn! Wenn man bedenkt, dass die Nato seit vielen Jahren die Osterweiterung betreibt, EU-Ostländer aufrüstet, ohne auf russische Bedenken einzugehen, dann war keine andere Reaktion zu erwarten. Es ist die Nato die für diesen Krieg verantwortlich ist. Ein ehrliches Nein der Nato und EU, die Ukraine weder in die EU noch in die Nato einzugliedern – und die Waffen in der Ukraine würden schweigen. Gerhard Harth, Brenschelbach
Zuerst dachte ich beim Untertitel der letzten Publik-Forum-Ausgabe, er sei eine beklagte Zustandsbeschreibung der westlichen Politik. Freilich nicht alle, die meisten Artikel folgen aber zu meinem Entsetzen genau der Kriegslogik. Da wird beklagt, der Westen habe es verschlafen, die Armeen aufzurüsten, das Risiko falsch eingeschätzt und vergessen, dass der Friede seinen militärischen Preis hat. Das ist nichts anderes als Kriegslogik. Jede Armee eines Staates und die gesamte Nato beruhen auf Kriegslogik, nämlich dass man Probleme letztlich nur mit Waffengewalt – also mit Krieg – lösen kann. Der Verbrecher Putin hat den Krieg angefangen und fast alle machen militärisch oder propagandistisch mit. Warum lassen wir uns von einem Verbrecher unser Handeln aufzwingen? Bestrafen wir den Verbrecher und nicht ein ganzes Volk sich selbst. Jede Nation hat das Selbstbestimmungsrecht und jedes Land hat das Selbstverteidigungsrecht. Aber wieso geht das nur mit Gewalt? Wieso nehmen wir in Kauf, dass am Ende Tausende Menschen tot sind, die Ukraine in Schutt und Asche liegt und Natur und Klima zerstört werden? Alle Instrumente des Friedens werden staatlich bisher nur am Rande gefördert. Der Bundeshaushalt fürs Militär ist tausendmal größer als der für zivile Friedensdienste. Wir sollten Friedensdienste und Diplomatie stärken, nicht die Bundeswehr. Nach den letzten großen Kriegen hieß es zu Recht: Nie wieder Krieg! Die Kirchen fügten sicher zu leise und zu uneinig hinzu: Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein. Doch auch Geist und Logik der Abschreckung sind Krieg. Einen gerechten Krieg gibt es nicht. Reinhard Müller, Waldhufen
Ja, Europa muss seine Werte verteidigen (und hätte das längst schon tun müssen). Es hätte 1999 die Achtung der Uno (immerhin im EU-Primärrecht verankert) gegen die Regierungen durchsetzen müssen, die gegen Artikel 42 der Uno-Charta verstoßen haben. Wenigstens jetzt müssten die Verantwortlichen der Kriege gegen Serbien 1999 und den Irak 2003 vor das Tribunal in Den Haag zitiert werden, soweit sie noch leben. Georg Lechner, publik-forum.de
Bei solch einseitiger Verurteilung des Bösen aus der Warte des Guten frage ich mich immer: Was würde Jesus sagen? »Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein«? Kaum jemand bestreitet, dass der russische Überfall auf die Ukraine ein unverzeihlicher völkerrechtswidriger Angriffskrieg ist. Doch ohne ernsthafte Verhandlungen über die Sicherheitsinteressen Russlands wird es keinen Frieden geben. Dabei dürfen wir jedoch nicht die Vorgeschichte weglassen, denn: Steht Russland an der US-amerikanischen Grenze oder die Nato an der russischen? Mit der Nato-Osterweiterung wurden Versprechungen gebrochen und Russland gemäß der Brzezinski-Doktrin eingekreist. Die Nato rückte in 14 Länder vor, die nach dem Zerfall des Warschauer Pakts bündnisfrei wurden. 2008 haben die USA der Ukraine und Georgien das waghalsige Angebot einer Nato-Mitgliedschaft gemacht, was in der jetzigen Tragik eben nicht eingehalten werden konnte und die Ukraine, die sich herausgewagt hatte, nun völlig alleine lässt. Schon 2014, als es nur um die EU-Mitgliedschaft der Ukraine ging, warnte Helmut Schmidt: »Das ist Größenwahn, wir haben dort nichts zu suchen.« Wir brauchen den Mut zur ganzen Geschichte, sonst landen wir in der üblichen Dämonisierung des Feindes, die Voraussetzung und Produkt von Kriegen ist. Frieder Claus, Waiblingen
Die derzeitige Kriegslage und die vielfachen »Reaktionen« des »Westens« sind das furchtbare Ergebnis jahrelanger Friedensnaivität ohne gründliche Kenntnis russischer, sowjetischer und kommunistischer Geschichte und Politik. Dies schließt die falsche Einschätzung der Rolle der Russisch-Orthodoxen Kirche mit ein. Otfrid Pustejovsky, Waakirchen
Alexander Schwabe wirbt, leicht kaschiert, aber unverhohlen für die massive Aufrüstung Deutschlands. Denn »Europa muss seine Werte verteidigen«. Natürlich mit Waffen. Und mit grotesker Unkenntnis. Putins brutaler Überfall auf die Ukraine ist nichts Neues und schließt an eine lange Reihe von Kriegen an, die oft genug unter westlicher Flagge geführt wurden, ohne dass es merkliche Reaktionen gegeben hätte. Aber jetzt, wo der Krieg vor unserer Haustür tobt, soll die Kriegskasse bis oben aufgefüllt und das Risiko eigener Vernichtung sehenden Auges eingegangen werden. Jahrzehntelange Bemühungen um Forschungen und Strategien nicht-militärischer Konflikteindämmung und -bewältigung sind offenbar unbekannt. Statt nachdenklicher Sorge angesichts der hochgefährlichen Lage bemüht der Artikel mit großen Worten die westliche »Verteidigung des freiheitlichen Modells« und fordert die Zahlung eines Preises für die westlichen Werte – das heißt »Unsummen für Rüstung«, wohlgemerkt in Zeiten der stetigen Modernisierung aller Waffengattungen und des vielfachen atomaren Overkills. Alternativen sind lediglich Appeasement. Unerhört!
Ludger Gaillard, Göttingen
Bild und Text bedienen das Klischee des blutigen Aggressors, den man der guten Seite (EU und Nato) gegenüberstellt. Da bleibt kein Raum für Betrachtungen, inwieweit man den russischen Nachbarn gereizt oder gedemütigt hat. Diese Alternativlosigkeit – bei aller berechtigten Kritik an der unhaltbaren und unmenschlichen Reaktion Putins – führt uns nicht zum Frieden. Gerhard Loettel, Bad Kreuznach
Der Westen zwingt Putin den Krieg auf, indem er entgegen Absprachen und Verträgen die Nato immer weiter nach Osten hin ausgedehnt hat. Hätte Russland in der Kubakrise keinen Rückzieher gemacht, hätte es auch Krieg gegeben und alle hätten dafür Verständnis gehabt, dass die Amerikaner sich die Stationierung der Raketen auf Kuba nicht gefallen lassen. Jochen Klaubert, Bonn