Leserbrief
Jesus nicht sozial-liberal
Zu: »Der gekreuzigte Mensch« (7/2023, Seite 16-18)
Wieder einmal kann ich mich über einen Beitrag von Magnus Striet nur wundern, sein sozial-liberaler Jesus ist ebenso ein Produkt von Vorurteilen und Projektionen wie der Jesus der von ihm kritisierten christlichen Tradition. Wie inzwischen jeder weiß, war Jesus ein frommer Jude, offenbar muss deshalb für einen – noch dazu deutschen – Theologen das Judentum die bessere Religion sein. So behauptet Striet, die »sündenfixierte Theologie« in der kirchlichen Überlieferung habe die »Deutungshoheit über das Jesus-Ereignis« gewonnen und so »wurde die selbstbewusste Freiheit des jüdischen Glaubens… schwer beschädigt. Frauen wurde fortan eine schwere Bürde auferlegt.« Erstens liegen die Wurzeln für ein ausgeprägtes Sündenbewusstsein bereits im AT und im frühen Judentum und zweitens war auch die Stellung der Frau im alttestamentlich-frühjüdischen Kontext alles andere als frei. Zudem stellt sich für mich die Frage, wie es zwischen dem Juden Jesus und der jüdischen Hierarchie zum »tödlichen Konflikt« über »theologische Auseinandersetzungen« kommen konnte, wenn der jüdische Glaube so liberal und sozial war, wie ihn Jesus angeblich verkündet hat.
Jesus nur als Juden auszuweisen genügt eben nicht, man muss daraus auch die Konsequenzen ziehen und die sind aus christlicher Perspektive keineswegs nur positiv. Eine Konsequenz lautet: Jesus hat sich nur an sein Volk gesandt gewusst, für die Nicht-Juden fühlte er sich nicht zuständig (Mt 10,5f.). Daher wollte er auch keine neue Religionsgemeinschaft respektive Kirche gründen und über die Möglichkeit eines Heiles für Nicht-Juden hat er kein Wort verloren (sonst hätte Paulus das gewusst). Das Problem vieler christlicher Theologen ist, dass sie zum einen das antike Judentum lieber zu verklären als zu verstehen versuchen und andererseits zu wenig beachten, wie sehr schon im Neuen Testament Jesus dem Judentum entfremdet wurde, damit seine Botschaft auch für Nicht-Juden akzeptabel wurde. Markus Zehetbauer, Uffing am Staffelsee
Wenn die Außerachtlassung der biblisch überlieferten Zeugen kritisch-historische Dekonstruktion der Überlieferung sein soll, dann kann man natürlich leicht »Die Glaubwürdigkeitskrise des Glaubens« auch auf dieser freilich für den christlichen Glauben existenziellen Schiene herbeireden. Dem gegenüber empfiehlt sich eher ein Blick auf den wissenschaftlich großen Hans Küng, der die Rolle der Zeugen hervorhebt: »Nicht einfach Verkündigung, Leben und Tod Jesu, sondern ganz bestimmte Erfahrungen mit Jesus als dem zum Leben Erweckten sind nach allen Texten dafür verantwortlich, dass aus den geflohenen und verzagten Jüngern todesmutige Bekenner geworden sind. Nicht durch den Tod Jesu, der als solcher ja gerade nicht Gottes Sieg über den Tod manifestierte, sondern durch neue Erfahrungen wurde die Verkündigung ausgelöst. Was berichtet wird, weist nicht auf Entwicklung, sondern auf Überraschung: eine Verschlossenheit, die nicht von innen durch schlussfolgernde Reflexion aufgeschlossen, sondern nur von einem andern her durch erschließende Begegnungen aufgebrochen wird. … Von welchem Text man auch ausgeht, immer stößt man auf eine radikal neue Erfahrung der Jünger mit Jesus nach dem Tod Jesu.« Josef Croonenbroeck, Münster