Leserbrief
Aus der Welt gefallen
Zu: »Nach Benedikt«, »Der einsame Kämpfer« und »Er hat die Verbrecher geschont« (1/2023, Seite 30-35)
Hermann Häring verdient ganz großes Lob für seine Ratzinger-Analyse, die sich wohltuend unterscheidet von den zahlreichen Lobeshymnen auf den großen Denker und Glaubenslehrer. Ein scharfer Denker war er gewiss, aber ein guter »Glaubenslehrer«? Härings Text ist fundamental und ohne Polemik, eine sehr kompetente, ruhige und sachliche, meines Erachtens die hilfreichste Erklärung und Bewertung der Leistung Ratzingers – von den Anfängen des Konzilstheologen und Reformers bis zu den reaktionären Irrungen und Verwirrungen schließlich als Papst, der eine desaströse Kirche hinterlassen hat: mit einer Theologie, die der Theologe Oliver Wintzek auf diesen Nenner brachte: »Eine solche vor der Wirklichkeit beschützte Theologie ist [...] nicht nur aus der Zeit, sondern gewissermaßen auch aus der Welt gefallen.« Dennoch sollten wir die Hoffnung auf eine jesuanische Erneuerung der Kirche nicht verloren geben. Ausgerechnet Immanuel Kant, der Aufklärer, spendet Trost: »Drei Dinge helfen, die Mühsal des Lebens zu ertragen: die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen.« Vielleicht kommt der Heilige Geist einmal in den Vatikan zu Besuch. Leopold Glaser, Breisach
Matthias Katsch stellt fest: »Diese ›freiwillige Ehelosigkeit‹ im Austausch für lebenslange Versorgung und Zugang zu Leitungsaufgaben stellt für uns heute eine Instrumentalisierung von materieller Not zum Zwecke der Nachwuchsrekrutierung dar, trägt aber zugleich auch zur besonderen Aura der katholischen Kirche bei.« Was unterstellt der Autor dem jungen Joseph Ratzinger, was unterstellt er all jenen, die Priester wurden und werden? Das Motiv der lebenslangen Versorgung? Die Gier nach Aufstieg und Leitungsfunktionen? Und der Kirche die Ausnutzung der materiellen Not, damit Nachwuchs rekrutiert wird? Muss man diese polemische Stellungnahme noch kommentieren? Natürlich mag es immer wieder solche Motive auf Seiten aller Beteiligten geben oder in der Geschichte gegeben haben. Es aber hier mit solcher Ausschließlichkeit zu behaupten, ist schon eine recht reduzierte Betrachtung der Lebensentscheidung all derer, die die Ehelosigkeit gewählt haben. Veit Wagner, Weiden