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Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 18/2020
Der Inhalt:
Politik & Gesellschaft

Pro und Contra
Atomausstieg verschieben?

vom 22.09.2020
Es ist eine Debatte darüber entbrannt, ob man den beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie um zehn Jahre verschieben soll – damit mehr Kohlekraftwerke früher vom Netz gehen könnten. Wäre das eine gute Maßnahme, um das Klima zu schützen?
 (Foto: istockphoto/petovarga)
(Foto: istockphoto/petovarga)

Rainer Moormann:

Ja, das hilft dem Klima!

Die deutsche Energiewende setzt derzeit auf den Ausbau wetterabhängiger erneuerbarer Energien. Damit soll der Klimawandel bekämpft werden. Mittelfristig stützt sich die Regierung dabei auf einen wenig klimafreundlichen fossilen Backup: Kohle wird als Übergangsenergieträger noch für etliche Jahre verbrannt, um Strom zu gewinnen. Langfristig sollen Stromspeicher helfen, die aber noch längst nicht im Industriemaßstab verfügbar sind. Gemeinsam mit der Technikhistorikerin Anna Veronika Wendland, die über Reaktorsicherheit forscht, habe ich diesen Ansatz detailliert geprüft. Wir schlagen im Interesse eines effizienteren Klimaschutzes vor, die noch laufenden sechs deutschen Atomkraftwerke für gut zehn Jahre möglichst in Staatsregie weiterlaufen zu lassen und gleichzeitig die Braunkohleverstromung um sechzig Prozent zu reduzieren. Das würde die deutschen CO2-Emissionen sofort um zehn Prozent vermindern.

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 18/2020 vom 25.09.2020, Seite 8
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Der vorhandene hochaktive Atommüll würde zwar um ein Prozent pro Jahr zunehmen, aber in Abwägung mit den Risiken des Klimawandels scheint uns das leicht hinnehmbar. Auch reaktorsicherheitstechnisch halten wir einen Weiterbetrieb für verantwortbar.

Weiterhin schlagen wir vor, 2030 zu bewerten, ob bis 2050 der Einsatz der notwendigen Speichertechnologie sicher gewährleistet werden kann. Wir halten die sich abzeichnende Notlösung eines fossilen Gas-Backups über 2050 hinaus für nicht klimagerecht. Sollte sich also 2030 abzeichnen, dass die Speichertechnologie nicht rechtzeitig bereitgestellt werden kann, muss unserer Auffassung nach auch über den Neubau von Atomkraftwerken der Generation 3 als einziger verfügbarer fossilfreier Alternative diskutiert werden. Diese könnten im Mix mit den Erneuerbaren eine stabile Energieversorgung gewährleisten. Das Memorandum mit unseren Vorschlägen ist unter www.saveger6.de zu lesen.

Claudia Kemfert:

Nein, das wäre Unsinn!

Die Atomlaufzeit zu verlängern ist Unsinn – aus mehreren Gründen: Erstens ist Atomenergie überflüssig. Wir können (wie beschlossen) die letzten Atomkraftwerke abschalten und in den nächsten 18 Jahren schrittweise aus der Kohle aussteigen. Deutschland hat genug (erneuerbare) Energie.

Zweitens ist Atomenergie zu teuer, nämlich mehr als doppelt so teuer wie erneuerbare Energien. Die Kosten der Müll-Endlagerung und des AKW-Rückbaus sind ohnehin gigantisch. Die Kosten einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien liegen deutlich unter denen von konventionellen Energien.

Drittens ist die Atomkraft eine risikoreiche Technologie, welche die Gefahr eines Super-GAUs, Umwelt- und Gesundheitsschäden mit sich bringt. Erneuerbare Energien hingegen sind umwelt- und klimaschonend. Ein Super-GAU ist nicht mal theoretisch möglich. Viertens ist die Atomenergie eine Technologie ohne Zukunft. Die angebliche Atom-Renaissance ist ein Mythos. Nur wenige Länder bauen mit gewaltigen Subventionen neue AKW. Partizipation der Bevölkerung? Nein danke! Atomenergie dient oft allein der Sicherung macht- und geopolitischer Stärke. Erneuerbare Energien hingegen stärken Demokratie, Partizipation und Wohlstand. Die Energiewende ist ein Friedensprojekt.

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Fazit: Wer fossile oder atomare Geschäftsmodelle am Leben erhalten will, ignoriert die ökonomische Wirklichkeit und will auf Kosten der Volkswirtschaft private Gewinne machen. Investitionen in erneuerbare Energien sind billiger und schaffen Wert, Innovationen und Arbeitsplätze. Jegliche Verlängerung konventioneller Energien behindert den Umstieg zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien. »Brückentechnologien« führen ins Nichts. Wir brauchen keinen Rückschritt, sondern Fortschritt. Es wird Zeit, nicht weiter auf der Bremse zu stehen, sondern endlich beherzt in die Energiewende einzusteigen!

Liebe Leserinnen und Leser von Publik-Forum.de,

üblicherweise finden Sie an dieser Stelle ein Umfragebarometer, das Ihre Stimmabgabe anzeigt für eine der beiden Positionen unserer Pro-und-Contra-Frage. Seit Dienstag konnten Sie Ihre Stimme abgeben zur Frage „Atomausstieg verschieben?“ – allerdings nur bis Donnerstagvormittag. Zu diesem Zeitpunkt entschieden wir uns, die Abstimmung von der Seite zu nehmen, weil sich innerhalb kurzer Zeit der bisherige Trend in der Abstimmung (eine deutliche Mehrheit war dagegen, den Atomausstieg zu verschieben) extrem ins Gegenteil drehte.

Offensichtlich wurde Publik-Forum.de zum Ziel einer Kampagne von Atomkraftbefürwortern. Diese Kampagne führte dazu, dass wir das Ergebnis der Abstimmung – die wir ausdrücklich als nicht repräsentativ verstehen – als völlig unrealistisch einstufen mussten. Daher entschlossen wir uns, die Abstimmung zu stoppen. Einher ging die Kampagne für die Verschiebung des Atomausstiegs mit einer Flut von Emails und Kommentaren, die wir als tendenziös und gesteuert ansehen. Darin wurde auch die Vertreterin der Contra-Position, Frau Professorin Claudia Kemfert, stark angegriffen. Wir haben uns entschlossen, diese Kommentare nicht öffentlich zu machen.

Sicherlich setzen wir uns damit seitens eines Teils der Atomkraftbefürworter dem Vorwurf aus, wir gehörten zu den sogenannten „Mainstream-Medien“ und ließen unliebsame Meinungen nicht zu. In Wahrheit aber wollen wir uns nicht für eine Manipulation der öffentlichen Meinung missbrauchen lassen.

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