Zur mobilen Webseite zurückkehren
Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 7/2022
Der Inhalt:
Politik & Gesellschaft

Verliebt in ein vielgeschmähtes Transportmittel

von Eva-Maria Lerch vom 08.04.2022
(Foto: istockphoto/clu)
(Foto: istockphoto/clu)

Reiseliteratur. Jaroslav Rudiš trägt eine Brille. Das ist der einzige Grund, warum er kein Lokführer geworden ist, kein Bahnhofsvorsteher oder Stellwerksleiter. Denn die Tschechoslowakische Staatsbahn, bei der er in seiner Jugend gern angefangen hätte, wollte damals keine Mitarbeiter mit Sehschwäche haben. Stattdessen ist Rudiš Schriftsteller geworden, hat preisgekrönte Romane und Graphic Novels geschrieben, ist nach Berlin gezogen, hat das Bundesverdienstkreuz bekommen. Aber verliebt in die Bahn ist er noch immer. Diese Liebe durchzieht die »Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen«, die er jetzt für die renommierte Reisebuchreihe aus dem Piper-Verlag geschrieben hat, von der ersten bis zur letzten Seite. Der Autor nimmt seine Leserschaft mit in den Zug durch Mitteleuropa, fährt im Speisewagen von Hamburg nach Prag, von Berlin bis zum Gotthardtunnel, von Sizilien bis nach Lappland. Bald riecht man den Geruch der Lokomotiven, hört das Seufzen der Räder, das Klacken der Kuppelstangen, schmeckt das Bier in den Bahnhofsgaststätten und freundet sich mit den Tauben in den Bahnhofshallen an. Rudiš nennt alle Loks mit ihren Kosenamen, erläutert ihre technischen Raffinessen, vergleicht die Bahnhöfe mit Kirchen und Kathedralen. Zugleich erzählt er in bewegenden Details die Geschichte und politischen Auswirkungen des Eisenbahnausbaus in den unterschiedlichen Landstrichen Europas. Verspätungen, Zugausfälle, verpasste Anschlüsse? Für Jaroslav Rudiš ist das kein Grund zur Aufregung, sondern immer auch eine Chance, noch ein bisschen im Bahnhof zu sitzen, den Gleisarbeitern zuzuschauen. Und dann vielleicht doch in eine andere Richtung zu fahren, als er ursprünglich vorhatte. Das Buch ist eine Liebeserklärung an ein vielgeschmähtes Transportmittel, das hier zu einem wunderbar eigenen Kosmos wird, in den man allerorten mit einer einfachen Fahrkarte eintauchen kann.

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 07/2022 vom 08.04.2022, Seite 55
Opfer bringen
Opfer bringen
Der Krieg, Karfreitag und die Osterhoffnung
4 Wochen freier Zugang zu allen PF+ Artikeln inklusive E-Paper
Kommentare und Leserbriefe
Ihr Kommentar
Noch 1000 Zeichen
Wenn Sie auf "Absenden" klicken, wird Ihr Kommentar ohne weitere Bestätigung an Publik-Forum.de verschickt. Sie erhalten per E-Mail nochmals eine Bestätigung. Der Kommentar wird veröffentlicht, sobald die Redaktion ihn freigeschaltet hat. Auch hierzu erhalten Sie ein E-Mail. Siehe dazu auch Datenschutzerklärung.

Mit Absenden des Kommentars stimmen Sie der Verarbeitung Ihrer Daten zur Bearbeitung des Kommentars zu. Zum Text Ihres Kommentars wird auch Ihr Name gespeichert und veröffentlicht. Die E-Mail-Adresse wird für die Bestätigung der Bearbeitung genutzt. Dieser Einwilligung können Sie jederzeit widersprechen. Senden Sie dazu eine E-Mail an [email protected].

Jeder Artikel kann vom Tag seiner Veröffentlichung an zwei Wochen lang kommentiert werden. Publik-Forum.de behält sich vor, beleidigende, rassistische oder aus anderen Gründen inakzeptabele Beiträge nicht zu publizieren. Siehe dazu auch Netiquette.