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Verbindendes Marmorkuchenprojekt

vom 14.04.2020
von Dorothee Diehl, Siegen
(Foto: Diehl)
(Foto: Diehl)

Ein verrücktes Frühjahr: Als Erstes sagten wir unseren Osterbrunch mit allen Kindern, Enkeln und Partnern bei meiner neunzigjährigen Mutter im Haus ab, besonders, um sie vor Corona zu schützen: Alle zusammen sind wir immerhin mehr als zwanzig Personen.

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Dann erfolgte die Ausladung zur Hochzeit meines Sohnes am 16. April.

Und schließlich, zwei Wochen vor Ostern, starb meine Mutter unerwartet. Wie froh waren wir da, dass sie zu Hause war. In den letzten Monaten hatte es unter uns fünf Geschwistern unterschiedliche Meinungen gegeben, ob die Betreuung zu Hause noch zu halten sei. So war es beim Status quo geblieben, wir alle waren in den letzten Tagen bei ihr gewesen, und ich konnte in der Todesnacht bei ihr Nachtwache halten. Sie ist dann friedlich in ihrem Bett eingeschlafen.

Hatte es zunächst geheißen, nur eine Handvoll Menschen dürften an der Beerdigung teilnehmen, so erfuhren wir, dass der Kreis zwanzig Personen umfassen durfte. Welch ein Glück! Fast alle konnten dabei sein!

Aber wie traurig auch, dass wir das Zusammensein nur für die kurze Zeit auf dem Friedhof und in gebotener Distanz erleben durften. Tröstlich war das sonnige, warme Frühlingswetter.

Und doch: die dritte verhinderte Familienfeier innerhalb von zehn Tagen!

Da fiel mein Blick auf die alte Marmorkuchenform, die ich vor circa fünfzig Jahren als junges Mädchen erstmalig und dann fast jedes Wochenende benutzte, um Kuchen für unsere siebenköpfige Familie zu backen.

Nun stand die Idee fest: Ich werde einen Marmorkuchen backen, in die benötigte Anzahl Stücke schneiden, um allen Familienmitgliedern, auch den abwesenden, ein Stück zu geben.

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Gesagt, getan. Zum Glück brauchte ich nicht durch unzählige Läden zu pilgern, um Mehl zu kaufen, davon hatte ich genug. Eier und Zucker auch, Margarine war leicht aufzutreiben. Dann nahm ich das alte Backbuch in die Hand, aus dem ich schon vor fünfzig Jahren meinen Marmorkuchen gebacken hatte.

Am nächsten Morgen, dem Tag der Beerdigung, schnitt ich für jeden ein Stück ab und packte je nach Familiengröße ein oder mehrere Stücke in beschriftete Frühstücksbeutel, die ich in einen großen Weidenkorb legte.

Zum Ende der Beerdigungsfeier gab es statt der Einladung zum anschließenden Kaffeetrinken meine Erklärung zum Marmorkuchenprojekt, und jeder erhielt dann den entsprechenden Beutel für zu Hause.

Nun konnten wir nachmittags, obwohl räumlich bis zu gut hundert Kilometer getrennt, »gemeinsam« Kuchen essen: in Verbindung untereinander und in Erinnerung an die Verstorbene.

Abends schickte mir einer meiner Söhne das anhängende Bild aus dem hundert Kilometer entfernten Köln, wo er zusammen mit seiner Partnerin lebt, die an dem Tag nicht bei uns war.

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