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Pflegefall wider Willen

vom 11.05.2020
von Dieter Vilkjálmur Johannesson, Hrolsvöllur (Island)

Wie hat sich der Corona-Virus in Island bemerkbar gemacht? Als die Ministerpräsidentin Katrin Jakobsdottir veranlasste, dass ab Freitag, den 13. März bis zunächst Dienstag nach Ostern der Ausnahmezustand verhängt wurde, war mir noch nicht klar, was das für mich bedeutete. Das erfuhr ich dann von der Heimleiterin: Alle 13 Personen im ersten Stock bleiben unter sich, dürfen nicht zu den anderen Mitbewohnern runtergehen, nur von außen durch die Fenster zuwinken. Sóttkví ist das isländische Wort für Quarantäne. So dürfen wir nicht zur Arbeit gehen, nicht Einkaufen gehen, nicht uns mit anderen treffen, nicht Busfahren. Lediglich Spazierengehen alleine.

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So wurde ich gegen meinen Willen zum Pflegefall. Nach fast 13 Jahren Heimaufenthalt setzt man mir das Essen vor. Das hat den Vorteil, dass ich weniger bekomme als sonst, das Gewicht bei so wenig Bewegung nicht zunimmt! Ein anderer Vorteil ist, dass ich kein Geld ausgeben kann!!

Ich besitze kein Telefon, stehe brieflich in Verbindung. Bestärkt werde ich durch geregelten Tagesablauf. Das heißt, ich stricke Wolldecken aus Wollresten. Seit 2013 die 65ste. Ich sticke Figuren aus der Njálssaga. Seit 2013 die 45ste. Ich male Bilder nach Vordruck aus. Ich übe auf der Übungsplatte nach Noten Trommelstücke. Ich lese viel Geschichtliches auf Isländisch.

Gottesdienst war nur alle vier Wochen gewesen. Das Abendgebet gehört zum Tagesablauf, immer!

Seit acht Jahren half ich als gelernter Gärtner in einer Containerbaumschule, nur zehn Kilometer von hier, mit.

Seit neun Jahren halte ich unseren Gästehausgarten sauber. Das könnte später noch klappen.

Zehn Jahre war ich in der Musikschule am Schlagzeug als ältester Schüler (Jahrgang 1936). Falls die Schule wieder öffnet, darf ich zweimal die Woche dort üben. Neun Jahre spielte ich Boccia in der Sporthalle, was jetzt ausfällt.

Sieben Jahre war ich beim Wandteppichsticken Njálsrefill.

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Ich hatte mich bei den Wandervereinen zu Tagestouren angemeldet und bezahlt. Zu einem Arbeitseinsatz vom 8. bis 10. Mai auf der Hütte.

Wenn man so weit gealtert ist, dass man nur noch auf Mahlzeiten und Abwechslung, Dauerfernsehen hofft, an den Rollstuhl oder das Wägelchen gebunden ist, wird es langweilig; es sei denn, man hat Alzheimer. Dann merkt man es gar nicht mehr?

Heute waren es 13°C und Sonne, der letzte Schnee ist weggetaut, es regnet genug und stürmt öfters.

Übrigens lerne ich weiter Isländisch und Polnisch.

Ein Brief aus dem Elsass sowie das Exemplar der Zeitschrift Publik-Forum brauchten einen ganzen Monat, ehe sie ankamen.

PS: Unser neuer Koch überrascht uns mit neuen Ideen. Er war mal in Paris tätig.

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Alle Beiträge des Erzählprojektes »Die Liebe in Zeiten von Corona«

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