Zur mobilen Webseite zurückkehren
Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 12/2022
Der Inhalt:
Politik & Gesellschaft

Seelenamt für vergängliche Ideale

von Thomas Winkler vom 24.06.2022

Musik. Das Klavier tut ganz harmlos. Während es klimpert, singt Schorsch Kamerun freundlich über Kindheit und Freundschaft, hebt kaum die Stimme, die vom Klavier umschmeichelt wird. Doch nahezu unmerklich verwandelt sich das Lied »Gegen gerade«, wird eine Absage an Vereinnahmungsversuche, dann kippt die Stimme, wird brüchig, ein leises Schreien fast, und es folgt eine bitterböse Abrechnung mit Beliebigkeit und Inkonsequenz.

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 12/2022 vom 24.06.2022, Seite 54
Chinas Propagandisten
Chinas Propagandisten
Wie westliche Influencer die Unterdrückung der Menschen beschönigen
4 Wochen freier Zugang zu allen PF+ Artikeln inklusive E-Paper

Wer den Hamburger, der bürgerlich Thomas Sehl heißt, kennt – als Mastermind der Band Goldene Zitronen und sperrigen Theatermacher –, für den dürfte sein neues Projekt eine Überraschung sein. Raison, das ist ein Trio mit PC Nackt und Mense Reents, aber das Debütalbum »So viele Menschen wie möglich« klingt ganz anders, als man es erwarten konnte. Statt vom Punk sozialisiertes Gelärme mit radikal linker Botschaft sind die Songs zurückhaltend, ja fast brav arrangiert.

Bestes Beispiel: Aus dem Ton-Steine-Scherben-Klassiker »Allein machen sie dich ein« – im Original ein wütender, aufrüttelnder Aufruf an die Unzufriedenen sich zu organisieren – wird ein spartanisch instrumentiertes Requiem, das nahezu stillsteht – und das man lesen könnte als Abgesang auf den Einfluss linker Ideologie auf die Massen. Es sind seine alten Themen, mit denen sich Kamerun beschäftigt. Nicht nur in einem Song wie »Aktien und Effekte« wird der Kapitalismus und dessen Auswirkungen auf den Menschen analysiert, nicht nur in »Schöner Moment ohne Rassismus« das linke Selbstverständnis hinterfragt. Weniger im Text, aber dafür umso deutlicher in der weit vom Punk entfernten, nahezu geisterhaften, aber auch unwirklich schönen Musik stecken der Zweifel und die Resignation. Das Ergebnis ist ein Seelenamt auf die Vergänglichkeit auch der größten Ideale.

Kommentare und Leserbriefe
Ihr Kommentar
Noch 1000 Zeichen
Wenn Sie auf "Absenden" klicken, wird Ihr Kommentar ohne weitere Bestätigung an Publik-Forum.de verschickt. Sie erhalten per E-Mail nochmals eine Bestätigung. Der Kommentar wird veröffentlicht, sobald die Redaktion ihn freigeschaltet hat. Auch hierzu erhalten Sie ein E-Mail. Siehe dazu auch Datenschutzerklärung.

Mit Absenden des Kommentars stimmen Sie der Verarbeitung Ihrer Daten zur Bearbeitung des Kommentars zu. Zum Text Ihres Kommentars wird auch Ihr Name gespeichert und veröffentlicht. Die E-Mail-Adresse wird für die Bestätigung der Bearbeitung genutzt. Dieser Einwilligung können Sie jederzeit widersprechen. Senden Sie dazu eine E-Mail an [email protected].

Jeder Artikel kann vom Tag seiner Veröffentlichung an zwei Wochen lang kommentiert werden. Publik-Forum.de behält sich vor, beleidigende, rassistische oder aus anderen Gründen inakzeptabele Beiträge nicht zu publizieren. Siehe dazu auch Netiquette.