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Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 20/2015
Der Inhalt:

Norbert Coprays gesammelte Werke (12)

von Norbert Copray vom 28.10.2015
Die neue Psychologie von Konsum und Verzicht: Jens Förster schreibt über die Frage, was das Haben mit dem Sein macht. Das Buch des Monats, besprochen von Norbert Copray
Norbert Copray bespricht Jens Försters Buch »Was das Haben mit dem Sein macht«. (Foto: luxuz:.photocase.de; Litho: Pattloch)
Norbert Copray bespricht Jens Försters Buch »Was das Haben mit dem Sein macht«. (Foto: luxuz:.photocase.de; Litho: Pattloch)

Schon im Titel nimmt Jens Förster direkt Bezug auf Erich Fromms Klassiker »Haben oder Sein« von 1976. Das macht neugierig. Denn der Sozialpsychologe Fromm hatte diese beiden Begriffe als prägende individuelle wie kollektive Verhaltensweisen charakterisiert und entsprechend kritisiert. Nach Förster ist es jetzt an der Zeit, mit Fromm über Fromm hinauszugehen. Das verlangt eine Auseinandersetzung. Denn Förster, der unter anderem wegen umstrittener psychologischer Untersuchungen bekannt wurde, behauptet schon im Vorwort: Vieles, was Fromm als Erklärung für Gier und Sinnsuche darlegt, sei »mittlerweile wissenschaftlich widerlegt«.

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 20/2015 vom 23.10.2015, Seite 70
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Daher beansprucht Förster, eine »neue Psychologie von Konsum und Verzicht« vorzulegen. Damit trifft er durchaus eine Grundsatzfrage der Gegenwart. Was den Leser für sein Buch einnimmt, ist seine oft sehr persönliche Art, sich auf das Thema einzulassen, das eigene Leben mit dieser Spannung zu konfrontieren und sich für einen Disput offen zu zeigen. Er will zu Widerspruch und zu einer neuen Debatte anregen. Seine direkte Auseinandersetzung mit Fromm umfasst dabei nur etwas mehr als fünf Seiten. Obwohl sich im ganzen Buch immer wieder Einlassungen zu Fromm finden, bleibt der Eindruck, dass Förster das Philosophische, das Grundsätzliche, die Transzendenz und den religiösen Humanismus von Fromms Denken nicht wirklich erfasst. Offen räumt er die Grenzen seines Entwurfs ein: Er will nicht über das Gut- oder Bösesein von Haben und Sein urteilen. Die Frage, ob Menschen gut oder schlecht sind, interessiert ihn nicht. Seiner Profession gemäß will er lediglich den heutigen psychologischen Erkenntnisstand herausarbeiten und so zeigen, was die Frage nach »Haben oder Sein« aktuell für uns bedeuten könnte.

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Aber geht das völlig wertfrei? Nein. Denn die Zielkonflikte betreffen alle Menschen inzwischen existenziell: »Ökonomen zeigen uns, dass wir den Konsum übertreiben und damit die Existenz des Planeten gefährden.« Fromm unterschied existenzielles vom funktionalen Haben und verband Haben und Sein mit Charakterstrukturen. Weil Förster das nicht genügend bedenkt, setzt er sich genau dort von Fromm ab, wo es nicht sein müsste. Er bringt Argumente, um Haben und Sein mehr in ihrer Verschränkung zu verstehen. Erkenntnisse aus psychologischer Forschung sind dafür jedoch mit Vorbehalt zu nutzen. Zumal Fromm bereits von einem Mix im wirklichen Leben ausging.

Förster schreibt eingängig, vielfach launig, immer informativ. Er skizziert »Versionen« des Habens und des Seins, geht der Frage nach, warum wir etwas haben oder sein wollen und was glücklich macht. Persönlich hat er zu einem genügsameren Lebensstil gefunden, will sich aber anderen dadurch nicht überlegen fühlen. Ob Besitz und Konsum zugunsten von Postwachstum und Gemeinwohlökonomie wirksam eingeschränkt werden können, bleibt offen und ist vor allem eine politische Frage. Im guten Leben für alle könnten sich Haben und Sein versöhnen, wenn der Verzichtsgewinn nicht wieder in Konsum investiert wird. Das ist jetzt angesagt.

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K. May 18.11.2015:
Dieses Buch war längst fällig. Erich Fromms Vision einer postmaterialistischen Gesellschaft war eine Utopie und hat als solche kaum einen Einfluss auf das alltägliche Leben gehabt. Man hat das Buch gekauft, "ach ja!" gehaucht und dann fröhlich weiter konsumiert.
Försters wertneutrale Sichtweise, die aus einem systemischen Ansatz folgerichtig resultiert, erklärt WARUM wir haben und WARUM wir sind. Er erklärt, WELCHE Bedürfnisse wir damit befriedigen.
Er entrümpelt die Frommschen "Analysen" von kindlicher Introjektion und Regression, die in der heutigen Psychologie nur noch belächelt werden, weil sie eben niemals bewiesen werden konnten. Förster erzählt kundig, kritisch und schlägt eine neue Theorie des Habens und Seins vor, in der sich Haben und Sein sinnvoll ergänzen.
Er schreibt uns nichts vor. Aber gerade durch diese wertfreie Betrachtung werden wir zur Umkehr motiviert.
Ich jedenfalls fühle mich motivierter denn je, zu SEIN statt zu HABEN.
Das Buch ist genial.